Preis und Leistung

Ein dem englischen Sozialphilosophen John Ruskin (1819 – 1900) zugeschriebenes, allerdings nicht belegtes Zitat drückt das Wesentliche aus:

"Es gibt kaum etwas auf der Welt, das nicht irgend jemand ein wenig schlechter machen kann und ein wenig billiger verkaufen könnte, und die Menschen, die sich nur am Preis orientieren, werden die gerechte Beute solcher Machenschaften.

Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist auch unklug, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann.

Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Wenn Sie dies tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres mehr zu bezahlen."

Natürlich will niemand zu viel für eine Leistung bezahlen. Was aber ist "zu viel"?

Eine Übersetzung ist kein Massenprodukt wie ein Waschmittel, das in jedem Geschäft in gleicher Qualität angeboten wird und bei dem der Preis ein klarer Maßstab ist.

Aber ... schon bei einem Massenprodukt wie einem Waschmittel ist es schwierig: Wenn zwei Geschäfte genau das gleiche Waschmittel zu unterschiedlichen Preisen anbieten, dann zahle ich zwar mehr, wenn ich im teureren Geschäft kaufe. Aber ob das zu viel ist, hängt auch von anderen Faktoren ab: Will ich ohnehin im teureren Geschäft einkaufen, weil ein anderes Produkte dort gerade billiger ist oder weil ich bestimmte Dinge nur dort bekomme? Lohnt sich der Mehraufwand, wegen des Waschmittels zum billigeren Geschäft zu fahren?

Übersetzungsleistungen sind viel zu komplex, um über einen simplen Maßstab wie den Zeilenpreis miteinander verglichen zu werden.

Während der Verbraucher weiß, dass die Qualität des Waschmittels immer die gleiche ist, kann der Auftraggeber die Qualität von Übersetzungsleistungen oft nur eingeschränkt beurteilen. Übersetzungen werden schließlich in Auftrag gegeben, weil der Auftraggeber die Zielsprache nicht oder nicht ausreichend beherrscht. Er weiß deshalb oft auch nicht, ob eine Übersetzung gut oder schlecht ist – der Auftraggeber muss seinem Übersetzer einfach vertrauen, etwa so wie er dem Statiker vertraut, der sein neues Haus berechnet, oder dem Rechtsanwalt, der seine Interessen wahrnimmt.

Dieses Vertrauensverhältnis braucht seine Zeit, es entsteht mit der Erfahrung, dass der Übersetzer zuverlässig ist, seine Texte sauber formatiert und termingerecht abgibt und die Übersetzung für den Auftraggeber oder seine Kunden hilfreich war.

Ein solches Vertrauen kann jedoch nicht entstehen, wenn ein Unternehmen mal diesen, mal jenen Übersetzer beauftragt, je nachdem wer gerade am billigsten ist.

Ein Beispiel: Für Maschinen muss in der EU eine Bedienungsanleitung in der Landessprache geliefert werden. Für viele Hersteller ist dies immer noch ein lästiger Kostenfaktor, den sie auf ein Minimum beschränken wollen. Die Qualität ist egal, Hauptsache sie kostet wenig.

Wenn ein Hersteller irgendeine Agentur über das Internet mit der Übersetzung beauftragt hat, bloß weil diese das niedrigste Angebot gemacht hat, dann ist die Gefahr groß, dass die Übersetzung Fehler enthält – schließlich kennt der Übersetzer die Maschinen nicht (und seltsamerweise scheinen Rückfragen bei solchen Übersetzern nicht üblich zu sein).

Vielen Herstellern ist nicht klar, welches Risiko sie damit auf sich nehmen. Wenn aufgrund einer fehlerhaften Übersetzung der Bedienungsanleitung ein Unfall passiert, bei dem ein Bediener verletzt wird, stehen dem Hersteller nicht nur hohe Schadenersatzforderungen ins Haus, sondern vor allem leidet sein Ruf.

Wenn er Glück hat, übernimmt seine Versicherung die Schadenersatzzahlungen, aber der Schaden, den sein Ruf genommen hat, ist nur schwer wieder gut zumachen. So oder so hätte er bares Geld gespart, wenn er bereit gewesen wäre, dem "Übersetzer seines Vertrauens" den etwas höheren Preis zu zahlen, den dieser für seine Leistungen verlangt.